BGH, Urteil vom 14.07.2021, Az. IV ZR 153/20 – Zeitpunkt der BU
Der Bundesgerichtshof hatte zu entscheiden, ab welchem Zeitpunkt der Versicherer Berufsunfähigkeitsrenten zu bezahlen hat. Maßgeblich ist hier der Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit, wobei sich dieser Zeitpunkt konkret nach den dem Vertrag zugrunde liegenden Bedingungen richtet. In dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag lautete die Regelung zum Eintritt der Berufsunfähigkeit wie folgt: „Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person in Folge Krankheit, Körperverletzung, (…) sechs Monate ununterbrochen außer Stande war oder voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außer Stande ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, sowie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben.“
Der Kläger hatte Ende Juli 2016 einen Arbeitsunfall. Der Vertrag sah das Recht einer sog. Nachversicherungsgarantie ohne Gesundheitsprüfung vor, wonach sich die versicherte Leistung uZeitpunkt dem100% erhöht. Der Versicherungsnehmer macht Mitte Oktober 2016 von diesem Recht zunächst Gebrauch. Er beantragte dann im Dezember 2016 Leistungen aus dem Versicherungsvertragsverhältnis aufgrund Berufsunfähigkeit wegen des Arbeitsunfalls aus Juli 2016. Der Versicherer erbrachte Leistungen ab dem 01.08.2016. Der VN verlangte jedoch aufgrund der in dem Vertrag vereinbarten und von ihm beanspruchten sogenannten Nachversicherungsgarantie höhere Rentenzahlungen.
Das Landgericht, welches den Leistungszeitpunkt auf den 01.08.2016 taxierte, hat die Klage abgewiesen und die Berufung vor dem Kammergericht hatte keinen Erfolg. Die Revision zum Bundesgerichtshof führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs schuldet der Versicherer die zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit vereinbarte Rente. Der Versicherungsfall tritt jedoch – anders als durch das Berufungsgericht festgestellt – nicht stets mit dem Beginn des -hier auch- in den AVB definierten Sechs-Monats-Zeitraums ein. Vielmehr ist nach der Entscheidung des BGH entsprechend der in der BU-Definition enthaltenen beiden Alternativen zu differenzieren. Maßgabe hierzu ist die Sichtweise eines um Verständnis bemühten Versicherungsnehmers. Nach der ersten Alternative („ ..sechs Monate ununterbrochen außer Stande war..“) tritt der Versicherungsfall erst nach Ablauf des Sechs-Monats-Zeitraums ein und ein weiterer Anspruch auf Leistungen auch aus der Nachversicherung bestünde nicht. Nach der zweiten Alternative („..voraussichtlich sechs Monate ununterbrochen außer Stande ist..“) liegt Berufsunfähigkeit zu Beginn des sechs-Monats-Zeitraums vor.
Da das Berufungsgericht bislang nicht festgestellt hat, nach welcher der beiden Alternativen Berufsunfähigkeit beim Kläger eingetreten ist, muss der Sachverhalt erneut durch das Kammergericht verhandelt und beurteilt werden.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs verdeutlicht, wie wichtig es ist, einen genauen Blick in die den Versicherungsfall zugrundeliegenden Bedingungen zu werfen. Diese unterscheiden sich oftmals in entscheidenden Punkten. Fehlt in der Definition der Berufsunfähigkeit in den Bedingungen eine klarstellende Regelung, kommt es oftmals zum Streit, wann der Versicherungsfall tatsächlich eingetreten und damit Leistungsbeginn ist. In dem vorliegenden Fall hat der Versicherer die dargestellte zweite Alternative gewählt, wobei offen bleibt, ob dies motiviert war, die gem. Nachversicherungsgarantie erhöhte Rente nicht bezahlen zu müssen. Selbstverständlich kann es in dem vorliegenden Fall auch so gewesen sein, dass die gesundheitlichen Beschwerden offenkundig so gravierend waren, dass bereits der Prognosezeitraum im Sinne der zweiten Alternative erfüllt war.
Auch an diesem Fall zeigt sich anschaulich, dass die mitunter sehr komplexe Prüfung des Bedingungswerkes durch einen Anwalt von entscheidender Bedeutung sein kann.