OLG Koblenz, Beschluss vom 05.06.2020 – vorerkrankte Schulter und Mitwirkung
Das OLG Koblenz hatte über einen „Klassiker“ in der privaten Unfallversicherung zu entscheiden.
Der Versicherungsnehmer war auf einer bemoosten Bodenvertiefung in seinem Garten ausgerutscht und gestürzt. Unmittelbar vor dem Sturz hatte der Versicherungsnehmer nach seinem Vorbringen reflexartig und heftig seinen rechten Arm hochgerissen, um den Sturz zu vermeiden bzw. abzufangen. Dadurch sei der rechte Arm verletzt worden. Er habe heftige Schmerzen im Schultergelenkbereich verspürt und der den Versicherungsnehmer behandelnde Orthopäde habe festgestellt, dass er sich bei dem Sturz im Sinne eines Knalls eine Ruptur der Supraspinatussehne zugezogen habe, was auch durch eine Kernspintomografie bestätigt sei. Seither bestünden schmerzhafte Einschränkungen der Funktion der rechten Schulter. Der Versicherungsnehmer hat unter Berücksichtigung eines Invaliditätsgrades von 70 % Ansprüche aus dem privaten Unfallversicherungsvertrag geltend gemacht.
In diesem Rechtsstreit hat das Gericht ein Gutachten erholt und es wurde zunächst festgestellt, dass es sich bei dem reflexartigen und heftigen Hochreißen des Armes im Zuge des Sturzes als Abwehrreaktion um einen Unfall im Sinne der Bedingungen handeln würde.
Der Versicherungsnehmer hatte bereits vor dem Unfallereignis degenerative Veränderungen an der Schulter, die nach Vorbringen des Versicherungsnehmers jedoch keine Beschwerden oder Funktionseinschränkungen verursacht hatten. Der Gutachter hat in dem Prozess festgestellt, dass hier bereits bestehende sogenannte stumme Beschwerden aktiviert wurden und das Gericht hat demgemäß auch eine Mitursächlichkeit des Unfalls für die eingetretene Invalidität festgestellt unter Verweis auf BGH, AZ: IV ZR 521/14. Der Sachverständigengutachter hatte dann im Weiteren Stellung zu beziehen, zu welchem Ausmaß die stummen Vorschädigungen an dem Gesundheitsschaden mitgewirkt haben. Der Gutachter bewertete den Mitverursachungsanteil der Vorerkrankungen im Sinne eines Impingement der rechten Schulter und einer Defektarthropatie mit fortgeschrittener Läsion der Supraspinatussehne auf 75 %.
In diesem Rechtsstreit war nicht nur die Frage des Unfallereignisses zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer streitig, sondern insbesondere auch die Höhe der unfallbedingten Invalidität.
Zunächst ist festzustellen, dass auch eine reflexartige Auffangbewegung im Zuge eines Sturzes unter den Unfallbegriff fällt, wobei selbstverständlich immer der genaue Einzelfall zu bewerten ist. Entscheidend ist die Abgrenzung einer nicht versicherten beherrschten Eigenbewegung und einem Unfall im Sinne eines plötzlich von außen auf den Körper wirkenden Ereignisses. Diese Differenzierung ist oftmals sehr komplex und auch unter Berücksichtigung der teilweise unterschiedlichen Rechtsprechung hierzu anwaltlicher Rat zwingend geboten.
Im Weiteren zeigt sich in dem vorliegenden Fall auch, dass der medizinischen Sachverständigenbegutachtung bei der Bewertung der Invalidität der Höhe nach, eine besondere Bedeutung zukommt. Insbesondere bei Vorerkrankungen, die bei dem Gesundheitsschaden mitgewirkt haben, ist seitens des Gutachters zu prüfen und festzustellen, ob das Unfallereignis adäquat kausal zu dem Gesundheitsschaden beigetragen hat und im Weiteren, in welchem Ausmaß bereits bestehende Vorerkrankungen bei dem unfallbedingten Gesundheitsschaden mitgewirkt haben.