Projekt Beschreibung

Nachprüfung – Einkommensverhältnisse im Zeitpunkt der Anerkenntniserklärung

OLG Hamm – Beschluss vom 23.11.2022, AZ. 20 U 238/22

Das OLG Hamm hatte über eine Frage zu befinden, die im Zuge der Nachprüfung durch den Berufsunfähigkeitsversicherer oftmals für Streit zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer sorgt.

Zum Sachverhalt:

Der Versicherungsnehmer unterhielt einen Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag. Er hatte Leistungsansprüche aus diesem Vertrag im Jahre 2016 geltend gemacht aufgrund eines Arbeitsunfalls. Aufgrund der Verletzungsfolgen konnte der Versicherungsnehmer seine ursprüngliche Tätigkeit als Mitarbeiter in der Produktion nicht mehr vollschichtig ausüben. Der Versicherungsnehmer machte eine Umschulung und gab diese bei der Leistungsanmeldung dem Versicherer auch bekannt. Der Versicherer anerkannte seine Einstandspflicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Versicherer auch Kenntnis davon, dass der Versicherungsnehmer bereits nach erfolgter Umschulung in einem neuen Beruf als Sachbearbeiter arbeitete. In dem Anerkenntnisschreiben des Versicherers führt dieser dann auch aus, dass eine Verweisung auf eine neue vergleichbare Tätigkeit ausscheide, da nach seinem Kenntnisstand unter Zugrundelegung der ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen der Versicherungsnehmer in dem neuen Beruf lediglich knapp über 70 % der alten Vergütung erziele und bedingungsgemäß eine Vergleichbarkeit nicht bestünde. In den Bedingungen war vorgesehen, dass bei einem Verdienst in der neuen Tätigkeit von mindestens 80% des vorherigen Verdienstes eine Vergleichbarkeit bestünde.

Drei Jahre später wurde eine sogenannte Nachprüfung von dem Versicherer vorgenommen und im Rahmen dessen erhielt der Versicherer Kenntnis davon, dass der Versicherungsnehmer in der neuen Tätigkeit aufgrund weiterer Gehaltsbestandteile einen höheren Verdienst hatte und dies auch bereits im Zeitpunkt der damaligen Anerkenntniserklärung im Juli 2016. Der Versicherer stellte seine Leistungen ein und verwies den Versicherungsnehmer auf die ausgeübte Tätigkeit als Sachbearbeiter in der mechanischen Werkstoffprüfung.

Hiergegen wendete sich der Versicherungsnehmer insbesondere mit dem Vorhalt, dass der Versicherer mit einer Verweisung auf den ausgeübten Beruf im Nachprüfungsverfahren ausgeschlossen sei, wenn er im Zeitpunkt der Abgabe des Anerkenntnisses eine bereits bestehende Möglichkeit einer Verweisung auf eine Vergleichstätigkeit nicht wahrgenommen habe. Genau dies sei hier jedoch der Fall.

Entscheidung des OLG Hamm:

Das OLG Hamm hat die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts bestätigt und festgestellt, dass der Versicherer im Zuge der Nachprüfung den Versicherungsnehmer auf einen bereits im Zeitpunkt der Anerkenntniserklärung ausgeübten neuen Beruf verweisen kann, wenn ihm dies im Zeitpunkt des Anerkenntnisses aufgrund unzulänglicher Informationen des Versicherungsnehmers noch nicht möglich war.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Versicherer eine Leistungseinstellung in der Nachprüfung dann nicht umsetzen, wenn er im Zeitpunkt der Abgabe des Leistungsanerkenntnisses eine bestehende Möglichkeit der Verweisung auf eine Vergleichstätigkeit nicht wahrgenommen hat. Bei der hier streitgegenständlichen Frage sei abzustellen, welche Informationen dem Versicherer im Zeitpunkt des Anerkenntnisses vorlagen.

Im Zeitpunkt des hier maßgeblichen Anerkenntnisses standen dem Versicherer nicht sämtliche Informationen zur Verfügung, die bereits eine Verweisung auf eine Vergleichstätigkeit möglich machten. Der Versicherungsnehmer hatte nämlich im Zeitpunkt des Anerkenntnisses im Jahre 2016 ein Schreiben nicht vorgelegt, aus dem sich ergab, dass der Versicherungsnehmer ein über das im Arbeitsvertrag benannte Entgelt erhalte. Insoweit ging der Sachbearbeiter des Versicherers davon aus, dass der Kläger in dem neuen Beruf lediglich knapp über 70 % der alten Vergütung erzielen werde. In den Bedingungen hatte der Versicherer jedoch eine Verweisung ausgeschlossen, wenn die Minderung des Einkommens um mehr als 20 % des vormaligen Einkommens geringfügiger sei.

Erst im Nachgang erfuhr der Versicherer dann über dieses zusätzliche Entgelt. Mittels dieser Information stand fest, dass der Versicherungsnehmer den gleichen Verdienst wie in dem vormaligen Beruf hatte und auch die Tätigkeit in der Wertschätzung nicht hinter der alten Tätigkeit zurückblieb, sodass die Leistungseinstellungsmitteilung auch rechtmäßig erfolgte, so das OLG Hamm.

Unsere Anmerkung hierzu:

Im Zuge des Nachprüfungsverfahrens kann der Versicherer, der eine Berufsunfähigkeit anerkannt hat, seine Leistungspflicht für die Zukunft prüfen. Eine BU besteht in der Regel nicht mehr, wenn der Versicherungsnehmer aufgrund einer gesundheitlichen Veränderung wieder in der Lage ist, seinen vormals ausgeübten Beruf zumindest halbschichtig wieder auszuüben oder er aber auf eine vergleichbare Tätigkeit, die der Versicherungsnehmer konkret ausübt, verwiesen werden kann. Letztere Konstellation war Gegenstand des Rechtsstreits. Auch das sogenannte Nachprüfungsverfahren ist von dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme und vertraglichen Fürsorgepflichten beider Vertragsparteien betroffen. Im Zuge des Nachprüfungsverfahrens hat der Versicherungsnehmer die ihm obliegenden Informationspflichten zu beachten und den Versicherer über den aktuellen Gesundheitszustand und aber auch eine aktuelle berufliche Tätigkeit zu informieren. Hierbei hat er auch die tatsächlichen Einkünfte mitzuteilen.

In dem vorliegenden Rechtsstreit hatte der Versicherungsnehmer bereits im Zeitpunkt der Anerkenntniserklärung des Versicherers eine andere – im Grundsätzlichen vergleichbare – Tätigkeit aufgrund einer Umschulungsmaßnahme ausgeübt, jedoch zu seinem Entgelt nicht sämtliche Informationen dem Versicherer zukommen lassen. Der Versicherer hatte die neue Tätigkeit im Rahmen seiner Anerkenntniserklärung zur Kenntnis genommen; der Verdienst bemaß sich jedoch unter 80 % des Entgelts aus der vormals in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit. Insoweit konnte der Versicherer auch nicht gleichzeitig zu dem Leistungsanerkenntnis eine Leistungseinstellungsmitteilung aufgrund konkreter Verweisung erklären, was grundsätzlich möglich ist, sogenannte uno actu-Entscheidung.

Grundsätzlich verhält es sich so, dass der Versicherer eine Verweisung auf eine Vergleichstätigkeit dann nicht mehr erklären kann, wenn er dies bereits im Zeitpunkt des Anerkenntnisses hätte machen können. Vorliegend war der Versicherer jedoch mit einer Verweisung deshalb nicht ausgeschlossen, da er im Zuge der Anerkenntniserklärung nicht ausreichende Informationen in Bezug auf das Einkommen des Versicherungsnehmers hatte, um eine Verweisung auszusprechen. Der Versicherer hatte hiernach gefragt; der Versicherungsnehmer hatte diesbezüglich jedoch einen Teil seines Arbeitsentgelts nicht mitgeteilt. Demzufolge war dem Versicherer eine Leistungseinstellung nicht verwehrt. Diese Feststellung des OLG Hamm ist richtig, da insbesondere im Rahmen des Versicherungsvertragsverhältnisses eine gegenseitige Rücksichtnahmepflicht besteht und unabhängig von der daraus resultierenden Informationspflicht des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer für die Vergleichsbetrachtung nicht die objektiven Kriterien heranzuziehen sind, sondern die Umstände, die dem Versicherer im Zeitpunkt der Anerkenntniserklärung bekannt waren.

In dem vorliegenden Fall bestand eine vertragliche Definition der Vergleichbarkeit einer neuen ausgeübten Tätigkeit unter anderem dahingehend, dass bei dieser zumindest 80 % des bisher verfügbaren beruflichen Einkommens erzielt wird. Solcherlei Klauseln befinden sich mittlerweile häufig in Versicherungsverträgen. Dies ist zu begrüßen, da in diesem Fall Rechtsklarheit besteht und eine Diskussion darüber, ab welchem Einkommen eine Vergleichbarkeit vorliegt, nicht geführt werden muss. Zu beachten ist, dass es bei der konkreten Verweisung für den Einkommensvergleich nicht auf die erzielbaren, sondern auf die tatsächlich erzielten Einkünfte auch dann ankommt, wenn die Einkommensminderung ausschließlich auf einer Minderung der Stundenzahl beruht, vgl. BGH, AZ. IV ZR 434/15.

Es stellt sich bei einer derartigen Klausel bei einem länger zurückliegenden Anerkenntnis im Übrigen die Frage, ob das frühere und das für den Verweisungsberuf ermittelte aktuelle Einkommen „unangepasst“ verglichen werden darf. Eine vertragliche Vereinbarung hierzu existiert in der Regel nicht. Von einem Teil der Rechtsprechung und Literatur wird nicht nur eine Inflationsbereinigung mit den statistischen Lebenshaltungskosten zugelassen, sondern das vormalige Gehalt nach der konkreten Lohnentwicklung im Ursprungsberuf fortgeschrieben, vgl. OLG Oldenburg, AZ. 5 U 84/16; Kammergericht Berlin, AZ. 6 U 89/15. Ein Teil der Rechtsprechung und Literatur lässt eine fiktive Einkommenssteigerung bzw. Einkommensfortschreibung bei dem Vergleich nicht zu, vgl. OLG Celle, AZ. 8 U 59/17; OLG Düsseldorf, AZ. 24 U 4/18. Eine vermittelnde Ansicht ist der Auffassung, dass zumindest bei einem längeren Zeitablauf zwischen Anerkenntnis und Nachprüfung bei einem Vergleich eine Inflationsbereinigung zu erfolgen hat, die nach dem Lebenshaltungskostenindex erfolgt, vgl. OLG Rostock, AZ. 4 U 90/23; LG Mannheim, AZ. 10 O 45/11.

Das Nachprüfungsverfahren stellt den Versicherungsnehmer immer wieder vor komplexe Fragestellungen, sodass die rechtliche Betreuung durch einen Fachanwalt sicherlich geboten ist. Selbstverständlich stehen wir Ihnen hierzu jederzeit gerne zur Verfügung.