Projekt Beschreibung

Zur fristgerechten ärztlichen Invaliditätsfeststellung in der privaten Unfallversicherung

Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, AZ. 5 U 006/20

Die verschiedenen Fassungen der AUB enthalten unterschiedliche Anforderungen an die Art und Weise der Feststellung und Geltendmachung der Invalidität. Die „klassische Regelung“ enthält § 7 I Abs. 1 S. 3 AUB 94, wonach die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sowie spätestens vor Ablauf einer Frist von weiteren drei Monaten ärztlich festgestellt und geltend gemacht werden muss. Diese Fristenregelung verstößt nicht gegen § 307 BGB (BGHZ 137, 174) und ist insbesondere auch mit dem Transparenzgebot vereinbar (BGHZ 162,210). Das Erfordernis des Eintritts der Invalidität binnen Jahresfrist sowie die ärztliche Feststellung der Invalidität stellen echte Anspruchsvoraussetzungen dar, deren Verspätung nicht entschuldigt werden kann. Nach § 186 VVG hat der Versicherer, wenn der Versicherungsnehmer einen Versicherungsfall anzeigt, ihn auf vertragliche Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen sowie einzuhaltende Fristen in Textform hinzuweisen. Unterbleibt dieser Hinweis, kann sich der Versicherer auf Fristversäumnis nicht berufen.

In Anwendung dieser Grundsätze wird in der Rechtsprechung teilweise angenommen, die ärztliche Feststellung der Invalidität müsse sich auch dazu verhalten, ob der Dauerschaden binnen der nach den Bedingungen maßgeblichen Frist (z.B.: ein Jahr) nach dem Unfall eingetreten ist (vgl. die Hinweisbeschlüsse OLG Frankfurt, r+s 2019, 282; OLG Düsseldorf, r+s 2018, 87; OLG Köln, zfs 2018, 645; ebenso Grimm/Kloth, Unfallversicherung, 6. Aufl., Ziff. 2 AUB 2014 Rn. 24). Dem folgt das Saarländische Oberlandesgericht nicht. Gegen die Richtigkeit dieser  Auffassung spreche maßgeblich, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer eine solche Anforderung den Versicherungsbedingungen nicht entnehmen könne. Nr. 2.1.1.1 AUB 2011 verlange lediglich die Feststellung der Invalidität durch einen Arzt binnen 12 Monaten. Der Versicherungsnehmer könne nicht erkennen, dass er Gefahr laufe, seinen Leistungsanspruch zu verlieren, wenn er sich um eine ärztliche Invaliditätsfeststellung – was die Bedingungen ja gerade zulassen – erst nach Ablauf der Jahresfrist bemühe und der von ihm aufgesuchte Arzt aufgrund der ihm vorliegenden Informationen und sonstigen Erkenntnismöglichkeiten keine Aussage dazu treffen könne, ob der von ihm festgestellte Dauerschaden bereits binnen Jahresfrist eingetreten sei. Vielmehr nehme der Versicherungsnehmer an, um die Anspruchsvoraussetzungen zu erfüllen, könne er auch noch gegen Ende der 18-Monats-Frist einen Arzt aufsuchen und von diesem dann das Vorliegen einer Invalidität feststellen lassen.

Ungeachtet der Frage, welche Anforderungen an den Inhalt der ärztlichen Invaliditätsfeststellung zu stellen sind, war der Senat der Auffassung, dass sich der Versicherer auf die – unterstellte – Unzulänglichkeit des ärztlichen Attestes und damit auf das Fehlen einer rechtzeitigen ärztlichen Feststellung der Invalidität auch deshalb nicht berufen könne, weil er damit gegen das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoße.

Die Berufung des Versicherers auf den Ablauf der Frist zur ärztlichen Feststellung der Invalidität kann im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein, sodass die Versäumung der Frist dem Versicherungsnehmer nicht schadet. Das kommt namentlich dann in Betracht, wenn dem Versicherer bereits vor Fristablauf ein Belehrungsbedarf des Versicherungsnehmers hinsichtlich der zu wahrenden Frist deutlich wird, er aber gleichwohl eine solche Belehrung unterlässt (BGH, Urteil vom 23. Februar 2005 – IV ZR 273/03VersR 2005, 639). Insbesondere kann der Versicherer nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu einer zusätzlichen (erläuternden) Belehrung verpflichtet sein, wenn der Versicherte trotz des Hinweises nach § 186 VVG im Unklaren ist, was von ihm zur Geltendmachung und Wahrung seiner Ansprüche zu veranlassen ist. Das kann etwa der Fall sein, wenn der Versicherer innerhalb der Frist erkennt, dass der Versicherte Invalidität geltend machen will, das von ihm vorgelegte ärztliche Attest den Anforderungen an eine ärztliche Invaliditätsfeststellung aber nicht genügt oder gar gänzlich fehlt (vgl. Senat, Urteil vom 27. April 2016 – 5 U 36/15zfs 2018, 575OLG Dresden, VersR 2019, 1280OLG München, VersR 2012, 1116OLG Naumburg, VersR 2013, 229; Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl., § 186 Rn. 11 und Ziff. 2 AUB 2014 Rn. 30; Rixecker in Langheid/Rixecker, VVG, 6. Aufl., § 186 Rn. 12).