Projekt Beschreibung

Fatigue-Syndrom in der Berufsunfähigkeitsversicherung

 

OLG Hamm – Urteil vom 13.09.2023, AZ. 20 U 371/22

 

Das OLG Hamm hatte über einen Anspruch aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu entscheiden, dem ein sogenanntes chronisches Fatigue-Syndrom (CFS) zugrunde lag.

 

Zum Sachverhalt:

 

Die als Lehrerin tätige Versicherungsnehmerin beantragte aufgrund eines chronischen Fatigue-Syndroms Leistungen aus dem Versicherungsvertrag. Ihrer Ansicht nach war sie seit April 2016 berufsunfähig. Die Versicherungsnehmerin war vorgerichtlich von dem Versicherer begutachtet worden. Es wurden hier unterschiedliche Gutachten eingeholt. In einem internistischen Gutachten wurde eine Berufsunfähigkeit bestätigt. In einem neurologisch-psychiatrischen Gutachten war eine Berufsunfähigkeit nicht bestätigt worden. Der Versicherer lehnte Leistungen ab, sodass die Versicherungsnehmerin klagte.

 

Das Landgericht beauftragte ein Sachverständigengutachten, welches eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit bestätigte, so dass der Klage stattgegeben wurde.

 

Gegen die Entscheidung wendete sich der Versicherer. Er hielt insbesondere vor, dass unter Berücksichtigung des Beweismaßstabes des § 286 ZPO der erforderliche Nachweis einer Berufsunfähigkeit nicht erbracht worden wäre. Die Feststellungen zur Erkrankung wären nicht hinreichend belegt. Angaben eines Probanden in dem gutachterlich durchgeführten Testverfahren wären nicht ausreichend objektiv. Der Gutachter habe im Weiteren näher dazu ausführen müssen, ob eine Therapie erfolgsversprechend gewesen wäre. Wenn sich die Versicherungsnehmerin einer solchen Therapie nicht unterziehe, würde dies einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit entgegenstehen. Weiterhin sei das Tätigkeitsbild der Versicherungsnehmerin streitig.

 

Entscheidung des OLG Hamm:

 

Das OLG Hamm hat die Berufung zurückgewiesen.

 

Das OLG Hamm führt zunächst dazu aus, dass sich der Versicherer in Bezug auf ein Bestreiten der vormals ausgeübten Tätigkeit näher erklären müsse. Der Versicherungsnehmer sei in Bezug auf die Darlegung und Darstellung des Tätigkeitsbildes darlegungs- und beweisbelastet. Der Versicherer könne jedoch nicht pauschal mit Nichtwissen bestreiten, wenn der Versicherungsnehmer seine Tätigkeit in dem Rechtsstreit näher beschreibt und ausreichende Informationen vorträgt. Dies gelte insbesondere auch dann, wenn das Tätigkeitsbild bereits vorgerichtlich von dem Versicherungsnehmer beschrieben würde.

 

In dem vorliegenden Fall habe die Versicherungsnehmerin eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausreichend nachgewiesen. Das Erstgericht habe sich frei von Rechtsfehlern auf die Begutachtung des gerichtlich bestellten Gutachters in den Entscheidungsgründen berufen. Die neuropsychologische Zusatzbegutachtung habe nachvollziehbar erheblich kognitive Beeinträchtigungen bestätigt. Der Gutachter habe in der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens diese Feststellung nochmals überzeugend verdeutlicht. Hierbei sei der Gutachter auch von dem richtigen Berufsbild ausgegangen. Die Klägerin könne im Ausnahmefall auch länger als eine Schulstunde aufmerksam sein. Dies würde jedoch die Gesundheit der Klägerin nicht „ungestraft“ zulassen, so der Gutachter.

 

Das Gericht habe sich im Übrigen auch nicht das Gutachten „sklavisch“ zu Eigen gemacht, sondern dieses korrekt gewürdigt und sich mit diesem auseinandergesetzt. Insbesondere habe sich der Gutachter und auch das Gericht damit auseinandergesetzt, dass die Klägerin auch während gewisser Situationen extrem konzentriert wirkte.

 

Anhaltspunkte für eine sogenannte Aggravation bestünden nicht. Eine Überzeugungsbildung im Sinne von § 286 ZPO würde nicht etwa eine mathematisch zwingende, vollständige Gewissheit voraussetzen. Es genüge der für das praktische Leben brauchbare Grad von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Dieses Maß an Gewissheit sei vorliegend gegeben.

 

Bewertung

Die Entscheidung des OLG Hamm ist vor allem interessant in Bezug auf den Nachweis einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit. Die Klägerin litt an einem chronischen Fatigue-Syndrom. Diese Krankheit ist nicht erst seit Ausbruch des Corona-Virus eine weitläufig unterschätzte Erkrankung, welche schwerwiegende Auswirkung auch auf die berufliche Situation einer Person haben kann. Im Zuge der Corona-Pandemie hat diese Erkrankung jedoch sicherlich eine neue Dimension und Aufmerksamkeit gefunden. Typischerweise leiden Betroffene unter extrem beeinträchtigten Leistungsfähigkeiten, die von schwerer körperlicher wie geistiger Fatigue begleitet wird und mindestens sechs Monate andauert. Es handelt sich hierbei um eine neuroimmunologische Multisystemerkrankung, welche weitgehend unerforscht ist. Insbesondere sind Ursachen und Entstehungsmechanismen nicht ausreichend geklärt, was die Diagnostik und insoweit auch die Geltendmachung im Falle einer Berufsunfähigkeitsversicherung erschwert. Immer wieder ist auch festzustellen, dass Gutachter sich mit diesem Krankheitsbild nicht ausreichend auseinandersetzen und in Ermangelung für sie erklärbarer Diagnosen eine psychosomatische Erkrankung in den Vordergrund stellen. Demgemäß ist es vorgerichtlich, wie aber auch gerichtlich geboten, sachkundige Gutachter zu beauftragen. In der Regel sind hier fachübergreifende Gutachten erforderlich, in der Regel ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten, ein immunologisches Gutachten, aber auch ein endokrinologisches und hämatologisches Gutachten können geboten sein. Bereits im Zuge einer Leistungsanmeldung ist – auch in der Regel krankheitsbedingt – die Unterstützung Dritter, insbesondere eines Rechtsanwalts auf der Hand liegend. Selbstverständlich stehen wir hierzu zur Verfügung.