Projekt Beschreibung
Eigenbewegung und erhöhte Kraftanstrengung in der Privaten Unfallversicherung
Landgericht Amberg, Urteil vom 25.03.2021, AZ. 24 O 608/20
Der Fall:
Das Landgericht Amberg hatte in einem Rechtsstreit über den Eintritt eines Versicherungsfalls zu entscheiden, bei dem sich die Versicherte im Rahmen einer Eigenbewegung verletzt hatte.
Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten einen privaten Unfallversicherungsvertrag aus dem sie Ansprüche geltend machte. Sie hatte mit einer Freundin einen schweren Schreibtisch getragen und war – den Tisch in beiden Händen haltend- eine Treppenstufe heruntergegangen, als sie einen heftigen Schmerz verspürt habe. Im Nachgang wurde ein Lendenwirbelbruch ärztlich diagnostiziert, den die Klägerin auf dieses Vorfallereignis zurückführte und Ansprüche gegenüber dem Versicherer geltend machte.
Die Entscheidung:
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Ein Unfall im Sinne der Ziff. 1.3. AUB 2008 liege nicht vor. Es fehle an einem von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis. Für den Unfallbegriff muss ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis vorliegen, was unter Berücksichtigung der persönlichen Anhörung der Klägerin in dem Sitzungstermin nicht angenommen werden könne. Eine Eigenbewegung, die nicht von außen gestört oder behindert wird, stellt keinen bedingungsgemäßen Unfall dar. Zwar kann eine Eigenbewegung, die anfänglich willensgesteuert war, im Nachgang jedoch nicht mehr gezielt und beherrschbar wird (insbesondere bei Tragen von schweren Gegenständen, die eine Eigendynamik entwickeln), ein versichertes Ereignis darstellen. Dies war in dem hier vorliegenden Fall jedoch auch nach dem Vorbringen der Klagepartei nicht so. Der Schreibtisch blieb weiterhin nur das Objekt der Bemühung der Klägerin. Er geriet nicht aus dem Gleichgewicht oder drohte umzustürzen, sodass ein Gegensteuern erforderlich gewesen wäre (vgl. hierzu OLG Frankfurt r+s 2009, 32; OLG Koblenz r+s 2006, 297).
Im Nachgang prüfte dann das Landgericht, ob nicht ein dem Unfall gleichgestelltes Ereignis im Sinne der Ziff. 1.4. AUB 2008 anzunehmen war. In diesem Fall besteht Versicherungsschutz für Gelenksverrenkung oder Zerrung bzw. Zerreißung von Muskeln, Sehnen, Bändern oder Kapseln durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule. Eine erhöhte Kraftanstrengung besagt, dass der mit einer normalen körperlichen Bewegung naturgemäß verbundene Kraftaufwand nicht ausreicht. Erforderlich ist ein erhöhter Einsatz von Muskelkraft in der konkreten Situation, der nicht plötzlich und auch nicht auf eine äußere Einwirkung zurückzuführen sein muss. Typische Fälle sind das Hantieren mit schweren Gegenständen.
Das Gericht führt hierzu aus, dass das Heben des Tisches zwar mit einer erhöhten Kraftanstrengung verbunden war; diese war jedoch nicht kausal für Verrenkungen eines Gelenks bzw. Zerrungen oder Zerreißungen von Muskeln, Sehnen, Bändern oder Kapseln. Der Bruch eines Wirbelkörpers falle nicht unter die Klausel und stelle insbesondere keine Zerreißung dar. Die Aufzählung der versicherten Ereignisse in der Klausel sei abschließend.
Alles in allem bestünde insoweit kein Versicherungsschutz und die Klage wurde abgewiesen.
Anmerkung zu dem Fall:
Der Fall zeigt wiederholt, dass kleine Unterschiede im Sachverhalt große Bedeutung erlangen können. Unter Berücksichtigung des eigenen klägerischen Vorbringens hat das Landgericht zu Recht die Klage abgewiesen.
Eine Eigenbewegung kann – wie in dem Fall nicht – unter Umständen einen Versicherungsfall darstellen, nämlich wenn die Eigenbewegung eine Eigendynamik annimmt, also von außen gestört oder behindert wird, etwa beim Umknicken des Fußes aufgrund einer Bodenunebenheit (vgl. OLG Hamm, r+s 2007, 518), bei Verletzungen nach dem Abspringen vom Fahrrad (OLG Hamm, r+s 1995, 117) oder auch bei einem ungeschickten und unerwartet harten Aufkommen nach einem Sprung (BGH, r+s 1985, 53). Eine ungeschickte Eigenbewegung ist jedoch nicht ausreichend. Es muss ein irregulärer Zustand der Außenwelt hinzukommen, die der willensgesteuerten Bewegung eine andere Richtung verleiht. Insoweit stellt allein das Arbeiten mit oder an einem Gegenstand eine Einwirkung von außen nicht dar, solange sich keine unvorhergesehene Eigendynamik entwickelt hat und aufgrund dessen auf den Körper des Geschädigten dahingehend einwirkt, dass dieser stürzt, umknickt oder abgleitet, vgl. OLG Hamm, r+s 2013, 512.
Richtig prüft dann das Landgericht, ob nicht ein gleichgestelltes Ereignis vorliegt. Hier gewährt der Versicherer Versicherungsschutz für den Fall, dass im Zuge einer erhöhten Kraftanstrengung eine Gelenksverrenkung oder Zerrung/Zerreißung von Muskeln, Sehnen, Bändern oder Kapseln eintritt. Lediglich die in der Klausel beschriebenen Verletzungen unterfallen dem Versicherungsschutz und eine analoge Anwendung auf andere Verletzungen ist nicht zulässig.
Eindeutig ist insoweit die Beurteilung von Verletzungen der Bandscheibe und Meniskusschäden. Für diese besteht kein Versicherungsschutz, denn bei den benannten Körperteilen handelt es sich um Knorpelgewebe. Sie sind anatomisch gesehen insoweit keine Muskeln, Bänder, Sehnen oder Kapseln, vgl. OLG Jena VersR 2020, 220; OLG Saarbrücken VersR 2005, 1276. Zudem stellt ein Bandscheibenvorfall keine Verrenkung eines Gelenks dar.
Schwieriger zu differenzieren ist der Fall einer Zerreißung der Supraspinatussehne, welche die Schulter mit dem Oberarm verbindet oder einer Verletzung des Sternoklavikulargelenks, der Verbindung von Brustbein und Schlüsselbein. Da hier eine eindeutige Abgrenzung nicht durch die meisten Klauseln vorgegeben wird, ist nach § 305 c Abs. 2 BGB von der für den Versicherungsnehmer günstigeren Variante auszugehen, also die Schulter dem Oberarm zuzuordnen, sodass diesen Bereich betreffende Gesundheitsschädigungen unter die Unfallfiktion fallen.
Fazit:
Auch hier zeigt sich, dass die Differenzierung sehr komplex werden kann und infolgedessen auch die Betreuung durch einen Fachanwalt für das Versicherungsrecht geboten ist. In diesem Falle stehen wir Ihnen insoweit sehr gerne zur Verfügung.