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Rechtsprechung aktuell:
Angst vor Corona begründet keine Berufsunfähigkeit?

LG Münster Urt. V. 08.04.2021 – 115 O 150/20

Das Landgericht Münster hatte sich mit der Frage zu befassen gehabt, ob eine Einstellung der beruflichen Tätigkeit lediglich zur Verhinderung einer möglichen Ansteckung mit SARS-CoV-2 eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit begründet.

Der Sachverhalt

Der klagende Versicherungsnehmer unterhält bei der beklagten Versicherung einen Vertrag über eine Risiko-Lebensversicherung nebst Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Er ist als sogenannter Immobilien-Besichtiger tätig. § 3 der dem Vertrag zugrunde liegenden Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung lautet auszugsweise:

„(1) Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50% außerstande sein wird, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, auszuüben“

Bei dem Versicherungsnehmer wurden im März 2020 Rundherde der Lunge entdeckt und im ärztlichen Aufklärungsgespräch wurde der Kläger über ein potentiell erhöhtes Risiko für ein komplikativen Verlauf im Falle einer SARS-CoV-2 Infektion aufgeklärt. Sodann wurde dem Kläger zur Infektprophylaxe die strikte Einhaltung der von den entsprechenden Fachgesellschaften sowie dem Robert-Koch-Institut empfohlenen Hygienemaßnahmen und des „social distancing“ empfohlen. Beschwerden hat der Kläger aufgrund der pulmonalen Rundherde nicht.

Der Versicherte beantragte bei der Beklagten Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Die Beklagte lehnte die Leistungen ab unter Hinweis darauf, dass konkrete gesundheitliche Einschränkungen nicht belegt seien. Nunmehr richtet sich die Klage des Versicherungsnehmers gegen die Ablehnung des Versicherers.

Die Entscheidung

Der Versicherungsnehmer hatte keinen Erfolg vor Gericht. Denn es ließ sich nicht feststellen, dass der Kläger bedingungsgemäß berufsunfähig ist.

Zwar seien bei dem Kläger pulmonale Rundherde festgestellt worden, die jedoch keine Beschwerden verursachen und zu keiner maßgeblichen Einschränkung seiner geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit führen, so das Gericht. Eine Covid-19-Erkrankung sei bei dem Kläger im geltend gemachten Zeitraum nicht aufgetreten. Nach eigenem Vortrag habe der Versicherte vielmehr – lediglich vorsorglich – seine berufliche Tätigkeit eingestellt, um sich nicht dem Risiko einer VOCID-19-Erkrankung auszusetzen. Das LG Münster vertrat dabei die Auffassung, dass eine Einstellung der beruflichen Tätigkeit lediglich zur Verhinderung einer möglichen Ansteckung gemäß der Regelung in § 3 der Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung jedoch nicht versichert sei.

Der Kläger hatte nicht vorgetragen, aus psychischen Gründen nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, seine berufliche Tätigkeit weiter auszuüben. Vielmehr stellte er seine Tätigkeit lediglich vorsorglich ein.

Das Gericht schloss sich daher einer Ansicht in der Literatur an.

„Nach den Versicherungsbedingungen ist das bloße Risiko, wegen einer künftig möglicherweise eintretenden Krankheit berufsunfähig zu werden, nicht versichert. Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist nach ihrem Sinn und Zweck keine „Vorbeuge-Versicherung“ zur Erhaltung der beruflichen Leistungskraft.“

Die Richter weisen ergänzend darauf hin, dass bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit auch dann vorliegen kann, wenn besondere Umstände eine Fortsetzung der Berufstätigkeit als unzumutbar erscheinen lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 11.07.2012, IV ZR 5/11). Dies könne beispielsweise der Fall sein, wenn ein Versicherter mit erhöhtem Risiko eines schweren Verlaufs einer Covid-19-Erkrankung in besonderem Umfang mit Covid-19-Erkrankten in Kontakt kommt, Bsp. auf einer entsprechenden Station in einem Krankenhaus.

Das Landgericht urteilte, dass der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit nicht in besonderem Umfang einem Kontakt mit Covid-19-Erkrankten im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit nicht in besonderem Umfang einem Kontakt mit Covid-19-Erkrankten ausgesetzt sei. Demnach sei die Infektionsgefahr nicht arbeitsplatzbezogen, sondern ein allgemeines Lebensrisiko. Außerdem komme hinzu, dass der Versicherungsnehmer das Infektionsrisiko durch Einhaltung von Hygienemaßnahmen, Abstandsregeln, Tragen von FFP-2-Masken und Sorge für ausreichende Belüftung in zu besichtigenden Räumlichkeiten weiter herabsetzen könne.

Anerkennung:

Die Entscheidung des LG Münster ist im Ergebnis richtig. Hierbei handelt es sich möglicherweise um das erste Urteil zum Themenkomplex “Berufsunfähigkeitsversicherung und COVID-19„. Die wichtigste Frage, mit der sich das LG Münster im Streitfall auseinanderzusetzten hatte, war vorliegend. Ob die vorsorgliche/vorbeugende Niederlegung der beruflichen Tätigkeit, um dem Risiko einer COVID-19-Erkrankung zu entkommen, eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit darstellt. Richtigerweise hat das Gericht dies verneint. Rechtliche zutreffend ist dabei, dass das bloße Risiko, wegen einer künftig möglicherweise eintretenden Krankheit berufsunfähig zu werden, in der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht versichert ist.

Aussicht:

Die Richter des LG Münster sprechen, dass der Kläger zu psychischen Gründen nichts vorgetragen habe. Der Kläger schien unter auffälligen übertriebenen Ängsten vor einer SARS-CoV-2-Infektion zu leiden.

Hätte ein Facharzt für Psychiatrie eine Angststörung mit entsprechendem Krankheitswert diagnostiziert, wäre der Fall womöglich zu Gunsten des Klägers ausgegangen.

Der ICD10 klassifiziert Angststörungen in den F41.0 ff.

Ein erfahrener Rechtsanwalt für Berufsunfähigkeitsversicherung hätte solchen Mandanten, die spürbar unter Ängsten leiden, die ihnen die Ausübung ihres Berufs erschweren oder gar unmöglich machen, dringend angeraten sich mit diesen Problemen ihrem Hausarzt oder besser noch einem Facharzt für Psychiatrie vorstellen. Neben der kompetenten ärztlichen Behandlung von Angststörungen als psychische Erkrankung, ist aus juristischer Sicht die ärztliche Dokumentation einer Erkrankung unerlässlich.